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Erick van Egeraat ist Architekt mit niederländischem Geschäftssinn. Sonst verbindet ihn mittlerweile wenig mit seiner Heimat. Er hat den Osten erobert und der Osten ihn... Von Manuela Hötzl.

Der Calvinist als Ostheit

Der Architekt Rem Koolhaas ruft in seiner kürzlich erschienen Publikation „Content“ auf: GO EAST! Dort ist der Architekt Erick van Egeraat schon längst. Und gerne. Sein Leben verbringt Erick van Egeraat mittlerweile 250 Tage in Hotels, alle zwei bis drei Tage in einer anderen Stadt. Er ist ein Geschäftsmann, der sich als Liebender den Ostmarkt geöffnet hat.
Muss denn das sein? Erick van Egeraat antwortet immer mit: Ja. Und macht weiter. Der Sohn eines Metzgers wurde am 27. April 48 Jahre alt und folgt immer noch dem guten Ratschlag seines Vaters: „Wenn du über etwas sprechen willst, musst du es vorher tun.“

Schon als junger Student nahm Erick van Egeraat Flugzettel in die Hand und verteilte die Pamphlete, um auch eine politische Haltung praxisnah auszuprobieren. Gerne spricht er über diese Aktivitäten. Dass sie aus kommunistischer Überzeugung entstanden, gibt er später eher irritiert zu: „Woher wussten Sie das?“
Schon am Ende der Studienzeit hat Erick van Egeraat als Partner in dem Architekturbüro „Mecanoo“ gebaut, und seitdem nie mehr damit aufgehört. Das erste Projekt, ein Studentenwohnheim, erregte Aufsehen. Es folgten viele, viele weitere, wie das Parkhotel in Rotterdam, ein Seniorenwohnheim in Nijmegen und einige Wohnbauten. „Mecanoo“ wurde rasch zu einem international bekannten und vielbeschäftigten jungen Büro. Nach elf Jahren verließ Erick van Egeraat „Mecanoo“ und damit auch seine erste Frau und niederländische Partnerin, Francine Houben. Die meisten Büromitglieder kamen mit ihm. Es folgte eine Ehe mit einer Weißrussin und die Solo-Karriere als „(EEA), Erick van Egeraat associated architects.“ Diese begann mit dem Umbau der ING-Bank in Budapest und veränderte sein Leben radikal. Weniger radikal der Bau: Bank und Versicherung sollten in einem Gebäude, einem Wahrzeichen der Stadt aus der Österreich-Ungarischen Monarchie, untergebracht werden. Die Aufgabe begeisterte ihn nicht besonders, aber sie weckte sein Interesse. So suchte er bei der ING-Bank nach einer eigenen Lösung für eine nach außen unsichtbaren Gestaltung und ein nach innen modernes, sehr komplexes Bürogebäude. Es gelang. Ein Masterpiece.

Doch Halt! Warum soll man sich für einen niederländischen Architekten interessieren, der hierzulande kaum bekannt und in seiner Heimat fast totgeschwiegen ist?
Zuerst einmal ist Erick van Egeraat in seiner Liga sicher einer der international erfolgreichsten Architekten, misst man Erfolg an der Anzahl der Bauten. Architektur ist ein Geschäft und marktabhängig. Erick van Egeraat ist Businessmann, eine der wenigen Eigenschaften, die er gerne seiner holländischen Herkunft zuschreibt. Das ist suspekt in der Architekturszene, wenn man weiß, dass Rem Koolhaas, Jean Nouvel und Coop Himmelb(l)au, zumindest einmal, vor dem Konkurs gestanden oder knapp daran vorbeigeschlittert sind. Branding des Namens bringt eben noch keine Aufträge, jedenfalls nicht so schnell und nicht ohne projektlose Durststrecken. Die hatte Erick van Egeraat nie.
Architektur braucht einen Markt. Diesen hat Erick van Egeraat längst in Osteuropa gefunden. Und das fast unbemerkt im Westen. Die Bank in Budapest war nur der Anfang einer Bebauungsoffensive von Bratislava bis Moskau. Und das zu einem Zeitpunkt, wo kaum „Westler“ und noch wenig inländische Architekten in diesen Regionen beschäftigt waren und das Geld und der Staat als großer Auftraggeber fehlten. Diese Länder waren von Anfang der 90ziger Jahre von ausländischen oder privaten Investoren abhängig. Gleichzeitig findet man die unterschiedlichsten Bedingungen vor und ein Architekt hat einmal bemerkt, dass es praktisch unmöglich ist ohne russischen Partner in der Stadt Moskau zu bauen. Die Struktur sei zu hierarchisch, die Bürokratie zu undurchschaubar, die Baustellen nicht Handzuhaben, dazu kommen sprachliche Probleme und das Fehlen einer Rechtsgrundlage für Auftragnehmer. Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron wissen davon ein Lied zu singen. Nach einem erstellten Entwurf für ein Shopping Center im Moskauer Žukowka Viertel hatten sie nie mehr etwas vom Auftraggeber gehört. Doch der Bau steht, haben sie kürzlich erfahren. Auch andere scheiterten. Erick van Egeraats Projekt in Moskau wird dagegen von Juri Luschkow, Bürgermeister von Moskau, im Fernsehen vorgestellt. Auch hierzulande ist es selten, dass Politiker das tun.

Aber nicht nur Moskau hat Erick van Egeraat erobert, seine Büros in Rotterdam und London, Prag und Budapest werden von Großprojekten, wie dem Masterplan an der Riverside in Bratislava ergänzt. Wie ist ihm das gelungen ist. Erick van Egeraat selbst schreibt es vor allem einen persönlichen Zugang zu, der ihm durch seine beiden Ehefrauen ermöglicht wurde und den er fast hinter seine Professionalität als Architekt stellt. Nach seiner weißrussischen ist er nunmehr mit einer Tschechin verheiratet. Der Osten ist für ihn auch zur emotionalen Heimat geworden. Ganz glaubt man es ihm nicht. Doch Strategie lehnt er als Erklärung ab. Sein erster Besuch in Prag, habe ihn „richtig getroffen“. „Das Feierliche dieser Stadt hat mich als Holländer fasziniert“, erklärt Erick van Egeraat euphorisch.
Woher hat Erick van Egeraat die Fähigkeit, an potente Aufträge heranzukommen?:
„Meine Bauträger sehen, dass sie nicht nur mit einem Architekten zutun haben, der über künstlerische Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt, sondern auch das Geschäft kennt“. Das jedenfalls scheint im Osten jedoch ein wenig anders abzulaufen. „Wenn ich arbeite, arbeite ich nur mit Chefs und Präsidenten, oder mit dem, der am Ende auch etwas zu sagen hat. Das geht am schnellsten, und das habe ich auch schon in Holland, bei früheren Wohnbauprojekten mit „Mecanoo“ so praktiziert“. Das hat ihn in den Niederlanden nicht besonders beliebt gemacht. Anders in Russland. Der Umgang mit Hierarchien, die in einem basisdemokratischen, konsensorientierten Land wie Holland die falsche Vorgangsweise zu sein scheint, kommt ihm also entgegen: “Wenn ich in Moskau bin, kennt man mich in jedem Restaurant. Mein Bauträger in Russland ist sehr stolz darauf, dass ich ein Star bin. In Holland mag man das nicht“. Dort gibt es das Sprichwort „Außerhalb des Rasens sein“. Was nichts anderes heißt: Gibt es keine Schublade für dich, weiß man nichts mit dir anzufangen. Und Erick van Egeraat ist schwer zu fassen. Und dann wieder leicht.

Man sitzt sich im Rotterdamer Büro gegenüber, einer wahren Residenz in der besten Gegend Rotterdams, nahe der Maas am Hafen. In der stattlichen Atmosphäre, des Hauses EEA wird man im ersten Stock empfangen. Gegenüber, am anderen Ende des großen Glastisches, ein entspannter, schick gekleideter Mann im schwarzen Nadelstreif, ein Galiano oder Christian Dior der Architektur, dessen schwungvolle Cabrio-Frisur so fest sitzt, wie man das aus der „Drei-Wetter-Daft“ Werbung versprochen bekommt. Diese Zaren der Modewelt begeistern Erick van Egeraat und schon die Erwähnung hebt ihn von seinen holländischen Kollegen ab. „Meine Arbeit ist vielleicht noch modischer, aber auch viel stärker geworden.“, vermittelt Erick van Egeraat bewusst oder unbewusst, jedenfalls selbstbewusst.
Dennoch: Für die rationale niederländische Gesellschaft ist er damit zu antiakademisch, zu üppig, elegant, luxuriös, intuitiv und barock. „Ich bin zuviel“, fällt Erick van Egeraat als Adjektiv zu sich ein. Etwas, das seine Frau „zum Glück schätzt.“ „Für sie ist es nie genug. Das macht mich sehr enthusiastisch, und, sie kauft ein, wie eine Verrückte, und eigentlich ist das gar nicht gut, aber es gefällt mir viel besser als eine Frau, die immer „Nein“ sagt.“, hört Erick van Egeraat nicht auf zu schwärmen. Vielleicht, lässt man sich überzeugen, ist das wirklich das Geheimnis des Erfolges. Diese verhaltene Impulsivität ist mitreißend. Und persönlich, wie alles an ihm.
Auch seine Publikation „Sechs Anmerkungen zur Architektur“ (Birkhäuser, 1997) von Erick van Egeraat beschränkt sich selbst und auf ihn. Babyfotos, Kindheitserinnerungen, persönliche Erlebnisse, große, dunkle Lippen, Strassschmuck oder Modebilder, gespickt mit Zitaten von Greenaway in Gold, Pink für EEA. „Muss denn das sein?“ Erick van Egeraat antwortet immer mit: „Ja.“ Das ist das „Zuviel“, das ist „er“ eben. Lieber hundert Details als nur eines, und nennt es „modernen Barock. „Man ist nur wirklich gut, wenn man so ist, wie man ist. Das ist zwar ein Riesenklischee, aber es entspricht meiner Erfahrung. Ich bin ja zuviel. Und das sieht man in allem, was ich tue“. Und die russischen Bauträger wollen ebenso wie seine jetzige Frau mehr. Seine Architektur scheint gerade richtig für die neureiche osteuropäische Gesellschaft, die ihr Geld zeigen will und genug hat von Trash und Funktionalismus. Diese Art von Freiheit bringt Erick van Egeraat in Form. Seine bunten Photoshop-Architekturcollagen fallen in diese Üppigkeit. Bunt und modisch kommen sie daher, die Bauten sind es dann doch nicht. Nicht so.

Das Geld ist aber da. Woher es kommt? Erick van Egeraat antwortet undurchsichtig: „Ja, das kann ich fragen, aber in Wirklichkeit haben die Russen, so wie jeder Holländer das auch tun würde, nur die Chance ergriffen. Und glauben Sie mir, wie denkt man, dass hier in Holland, dieses das kultivierte und zivilisierte Land zu Geld gekommen ist? Wenn man irgendwie nachforscht, ist alles perfekt. Aber auch hier wird Geld gemacht, indem einer verkauft und der andere kauft“. Erick van Egeraat wird nicht konkret. Auch der 1. Mai, Tag der Osterweiterung holt ihn nicht an das Thema, aber er findet es „gut“.
So wird alles einfacher und Erick van Egeraat ist nicht jeden Tag mit Weltfragen beschäftigt.
Immer wieder stellt er sich die Frage: „Wie lebt man?“. „Wie entscheidet man, wenn man einen neuen Anzug oder ein neues Paar Socken kaufen muss?“ – das sind doch die Themen des Lebens, des Alltags. Solange ich dein Leben nicht negativ beeinflusse, mache ich noch Hunderte von diesen Projekten.“
Ob er dennoch etwas verbessern möchte? „Natürlich sehe ich viele Dinge. Wenn ich in Moskau zum Flughafen fahre und an vielen hässlichen Gebieten vorbeikomme zum Beispiel. Dann bin ich bis zum Einschlafen damit beschäftigt. Ich frage mich was passiert da. Was kann ich da tun. Wie funktioniert die Stadt, könnte ich überhaupt etwas Brauchbares beitragen“.
Angst muss man keine bekommen, Erick van Egeraat will nicht die ganze Welt bebauen, ein Teil des Ostens trägt jedoch längst seine Handschrift. Und was ihm im Westen als Vielfalt vorgeworfen wird, kommt ihm im Osten entgegen. Von dem lässt er sich weiter inspirieren, nichts schaut gleich aus, in Bratislava oder Moskau, und nichts ist zu kategorisieren. Ein klassischer Architekt der Postmoderne, der auf keine lange Tradition, sondern auf die Moderne im eigenen Land zurückgreift. Mit deren Purismus möchte er aber möglichst wenig zu tun haben. „Ich bin nicht einfach, aber wenn ich etwas zeichne, dann nicht um zu imponieren, sondern weil ich glaube, dass es ein gutes Projekt ist“. Und gut ist „viel“, immer wieder.



erschienen in "Datum", Ausgabe 1, S.48ff, Hrsg.: Klaus Stimeder, Johannes Weyringer, Preis: 4,50.-
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